Gravenbrucher Kreis kommentiert Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zu Restrukturierung

  • Neue RestrukturierungsOrdnung könnte das gut funktionierende deutsche Insolvenzrecht ergänzen
  • Europäische Richtlinie sollte nationale Öffnungsklauseln berücksichtigen
  • Gläubigerbefriedigung soll weiter vor Entschuldung von Unternehmen stehen

 

Halle / Saale, den 15. Januar 2017; Der Gravenbrucher Kreis – der Zusammenschluss der führenden, überregional tätigen Insolvenzverwalter und Sanierungsexperten Deutschlands – begrüßt grundsätzlich die Einführung eines europaweit abgestimmten, präventiven Restruk­turierungs­rahmens, wie ihn die Europäische Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag Ende November 2016 skizziert hat. Zugleich hält der Gravenbrucher Kreis es für wichtig, bestehende gut funktionierende Insolvenz- und Restrukturierungsregime stärker zu berücksichtigen. Dazu gehören laut einer Studie der Weltbank (Doing Business 2017, Oktober 2016) in Europa die entsprechenden Rechtsregime in Finnland, Portugal und Deutschland. Öffnungsklauseln in der künftigen europäischen Rahmensetzung sollten zumindest sicherstellen, dass erfolgreiche nationale Rechtssysteme nicht beeinträchtigt werden. Denn die deutschen Mindeststandards für Sanierung gehen weit über die Intention der Europäischen Kommission hinaus.

 

„Europa braucht ein in allen Mitgliedstaaten funktionsfähiges, einheitliches Restrukturierungsrecht, um im weltweiten Systemvergleich noch wettbewerbsfähiger zu werden“, sagte Lucas F. Flöther, Sprecher des Gravenbrucher Kreises. „Wir sollten zugleich das sehr gut funktionierende deutsche Insolvenzrecht erhalten. Hier ist kein Paradigmenwechsel von der Gläubigerbefriedigung hin zur Entschuldung nötig, sondern lediglich eine Ergänzung um die Werkzeuge eines Restrukturierungsrahmens.“

 

Im deutschen Insolvenz- und Sanierungsrecht sollte eine eigenständige RestrukturierungsOrdnung zusätzliche Werkzeuge bieten, um in Schieflage geratende Unternehmen frühzeitig zu stabilisieren und damit Arbeitsplätze zu sichern. Um die wirtschaftliche Bestandsfähigkeit des betroffenen Unternehmens zu sichern, soll die Passivseite der Bilanz restrukturiert werden, d.h. es sollen Absprachen mit Kreditgläubigern außerhalb eines Insolvenzverfahrens ermöglicht werden. Weitergehende Sanierungs­maßnahmen dürfen über vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren jedoch nicht möglich sein. Auch sollte sich das Entschuldungsziel des präventiven Restrukturierungsrahmens auf offene Kredit­forderungen beschränken.

 

Der europäische Gesetzgeber sollte die verschiedenen Verfahren für Restrukturierung, Insolvenz und Sanierung klar voneinander unterscheiden. Zudem sollte das laufende europäische Gesetzgebungs­verfahren in seiner Richtlinie Umsetzungsspielräume für diejenigen Mitgliedstaaten lassen, in denen bereits effektive sanierungsfreundliche Verfahren existieren.

 

Nach Ansicht des Gravenbrucher Kreises sollte beispielsweise ein individueller Vollstreckungsstopp bei Sanierungsverhandlungen gemäß europäischem Restrukturierungsrahmen nur nach Einzelfallprüfung durch ein Gericht erfolgen dürfen. Ein umfassendes Moratorium zu Lasten aller Gläubiger sollte weiterhin ausschließlich im Rahmen eines ordentlichen Insolvenzverfahrens möglich sein.

 

Nur wenn ein Restrukturierungsplan von betroffenen Kreditgläubigern unterstützt wird, die gemeinsam mindestens 75 Prozent der Summe der Forderungen repräsentieren, und ein Gericht sich von dieser Unter­stützung überzeugt hat, sollte das Gericht diesen Restrukturierungsplan bestätigen können. Dieses hohe Quorum ist nach Ansicht des Gravenbrucher Kreises wesentlich für den Minderheitenschutz im Sinne der Gläubiger.

 

Zudem setzt sich der Gravenbrucher Kreis dafür ein, dass Sanierungs- oder Überbrückungskredite sowie Umsetzungsmaßnahmen und sonstige Transaktionen im Zusammenhang mit der Restrukturierung durch den neuen europäischen Restrukturierungs­rahmen nicht pauschal privilegiert werden sollen, damit bei einer etwaigen Folgeinsolvenz des betroffenen Unternehmens andere Gläubiger nicht benachteiligt werden.

 

Um auch auf gerichtlicher Seite den sich ändernden Anforderungen an Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren Rechnung zu tragen, sollten nach Meinung des Gravenbrucher Kreises ausgewählte Amtsgerichte als spezialisierte Restrukturierungsgerichte fungieren.

 

Die detaillierten Ausführungen des Gravenbrucher Kreises entnehmen Sie bitte dem Thesenpapier „Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland?“ vom 14. Januar 2017, das der Kreis im Vorfeld der Veröffentlichung mit Fachleuten aus Banken, Justiz, Versicherungen, Verbänden, Verwaltung und Wissenschaft erörtert hat (Download unten).

 

Die Thesen berücksichtigen einerseits den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission für einen präventiven Restrukturierungs­rahmen vom 22. November 2016 und adressieren zudem die für das Frühjahr 2017 geplante Evaluation des deutschen Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG).


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Pressemitteilung
GK_PM_RestrukturierungsOrdnung_II_201701
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Thesenpapier „Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland?"
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Gravenbruch Theses "Pre-insolvency restructuring procedure in Germany?"
Thesen_Restrukturierungsverf_Jan2017_EN.
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Les thèses de Gravenbruch « L’Allemagne a-t-elle besoin d’une procédure de redressement précédant l’insolvabilité ? »
Thesen_Restrukturierungsverf_Jan2017_FR.
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